Montag, 27. Oktober 2014, 18:30 Uhr: Vortrag
Geologie als kameralistische Wissenschaft
Bahnhof Buffet HB Zürich, 1. Stock Raum «Les Trouvailles»
Verwaltung und Wissenschaft sind zwei moderne Autoritäten der Weltaneignung und Weltbearbeitung. Beide Handlungsbereiche stützten sich am Übergang in die Moderne um 1800 gegenseitig. Der Staat brauchte die wissenschaftliche Expertise zur Bewältigung seiner rasch wachsenden Aufgaben. Entsprechend schulte sich der moderne Verwaltungsblick von Anfang an den entstehenden Disziplinen: Er formte die soziale Wirklichkeit in der Folge neu nach administrativen und wissenschaftlichen Massgaben.
Der Vortrag untersucht am Beispiel des Zürcher Patriziers Hans Conrad Escher die engen Beziehungen zwischen Verwaltung und Naturwissenschaften jener Zeit. Die beiden Handlungsbereiche hatten drei Dinge gemeinsam. Verwaltung und Geologie teilten sich erstens ein gemeinsames Wissensobjekt, das Staatsterritorium. Zudem teilten sich wissenschaftliche und administrative Praxis das Prinzip der Schriftlichkeit, und schließlich hatten beide Wissensformen ein gemeinsames Erkenntnisinteresse: Verwaltung wie Wissenschaft strebten nach Verallgemeinerung, also nach Erfassung des „Ganzen“.
In der Summe stärkte Eschers Amtshandeln die Etablierung der geologischen Forschung mehr als umgekehrt. Es zeigt sich, dass der Sohn eines Seidenfabrikanten seine Identität und Autorität als Wissenschaftler festigte, indem er das vornehmlich im Selbststudium erworbene geologische, mineralogische und topographische Wissen über die Schweiz als kameralistisches Wissen in die Amtsführung einbrachte und dort erprobte, erweiterte und in konkreten Anwendungen sowie Vorträgen oder Aufsätzen fixierte. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht trug er so massgeblich zur Etablierung der modernen schweizerischen Geologie bei.